Interview mit Jennifer Rostock

Der Tag verregnet und kalt, der Himmel tiefgrau: kurz vor ihrem Konzert in der Turbinenhalle Oberhausen durfte ich Jennifer Weist, Joe Walter und Christoph Deckert von Jennifer Rostock für ein paar Minuten ausquetschen. Ein kochend heißer Raum, ein Tisch voller Süßigkeiten, zwei kuschlige Sofas, drei sehr sympathische und gut gelaunte Menschen und ich, ganz nah beisammen. Die Stimmung gelöst und der Empfang, im Gegensatz zum Wetter, strahlend und hell – besser hätte die Feuerprobe für mein erstes Interview wohl nicht laufen können.

Ich habe gerade gesehen, dass ihr einen strammen Zeitplan heute habt: sechs Interviews nacheinander und heute ist schon euer siebtes Konzert in zehn Tagen – macht der Körper das gut mit?

Jennifer: Manchmal, wenn wir den Tag vorher frei hatten, dann kommt man immer ein bisschen schwierig wieder rein. Man denkt sich dann so: „Och, ich könnt jetzt noch so ’nen Tag! Und ihr so?“, aber im Prinzip macht mein Körper das schon mit.

Joe: Meiner auch, so ist’s ja nicht!

Ich frag euch jetzt nicht zum hundertsten Mal, woher der Titel „Schlaflos“ kommt…

Jennifer: Cool! Echt? Danke! (lacht)

Ich frage euch lieber, was eure Favoriten-Alben für schlaflose Nächte sind. Sei es nun zum feiern gehen oder um den Kopf frei zu bekommen.

Joe: Das passt ganz gut, weil im Tourbus sind wir auch manchmal schlaflos. Also, es ist saucool, dass man da drin schlafen kann, aber man schläft nicht immer gut in dem Bus.

Jennifer: Ich schlafe besser als im Hotel da drin! Wenn’s nicht mehr ruckelt kann man irgendwann nicht mehr schlafen. (lacht)

Joe: Trotzdem gibt es immer Stunden, in denen man nicht schlafen kann und dann hör ich sehr viel Musik. Gerade höre ich sehr viel das Album von „Haim“.

Jennifer: Ich hör immer Hörbücher zum einschlafen. Das ist für mich irgendwie besser, weil ich mich da in diese Situation herein versetze und mir dann vorstelle, wie das da alles aussieht und dann schlafe ich ein. (lacht) Ich hör immer die drei Fragezeichen oder Krimis. Sebastian Fitzek hab ich mir gerade runter geladen. Find ich gut!

Christoph: Gut, dann jetzt Partymusik. Ich hab vorgestern im Tourbus, irgendwann ganz spät noch, ein riesen DJ-Set abgefeuert – unter anderem mit meinem Lieblingsalbum des letzten Jahres von Soukie & Windish „A Forest“. Das ist eher so Techno-Gedöns, aber das ist geil! So Mädchen-Techno.

Techno – könntet ihr euch vorstellen, da irgendwann mal ein Feature zu machen? Also aktuell auf dem Album habt ihr ja gleich eins mit vier anderen Künstlern: MC Fitti, Madsen, Großstadtgeflüster und FeineSahneFischfilet. Habt ihr ein Feature in Aussicht, das ihr gern mal machen würdet?

Christoph: Alle unsere Freunde, mit denen wir mal was machen wollten, haben wir jetzt auf dem Album schon mal weg gefrühstückt.

Joe: Auf dem und auf dem letzten! Live machen wir auch ganz viele Features. Wir werden tatsächlich öfter gefragt, was für ein Feature wir uns gern mal erträumen würden und dann sagen wir immer: „Naja, eigentlich haben wir mit den Leuten, mit denen wir gern mal Features machen wollten schon welche gemacht, weil wir eher daran interessiert sind etwas zu machen mit Leuten, die wir auch persönlich kennen und mögen.“. Also, mit denen machen wir lieber eins, als mit irgendwelchen Weltstars – so total anonym.

Christoph: Und das mit dem Techno haben wir auch weg gefrühstückt auf dem neuen Album. Da gab es eine special Fan-Edition, für die wir ein paar Leute angefragt hatten, Remixe für uns zu machen. Deshalb haben wir das auch schon durch. Wir sind soweit ganz zufrieden und wenn uns was einfällt, dann machen wir das einfach auch.

Euer neues Album ist direkt auf Platz 2 der Neueinsteiger-Charts gelandet – dazu erst mal herzlichen Glückwunsch – und in „K.B.A.G.“ singst du, Jennifer, passenderweise „Wir brauchen eine Fanbase, die kräftig konsumiert“. Seid ihr zufrieden mit eurer Fanbase oder will die Luft nach oben, Richtung Platz 1, noch geknackt werden?

Jennifer: Ach, ne! Das war uns auch vorher nicht so wichtig und das ist jetzt auch immer noch so. Ich glaub auch, so eine Chart-Platzierung liegt auch immer viel an Glück und wann man released, mit wem man zusammen released und so weiter. Zu einem anderen Zeitpunkt wären wir vielleicht nur auf dem zehnten Platz gewesen oder vielleicht direkt auf dem ersten – wir sind eigentlich so zufrieden, wie das alles gerade ist. Das kommt auch in diesem „Kein Bock, aber Gästeliste“-Song ganz gut durch. Die Aussage ist einfach: Da, wo wir jetzt sind, fühlen wir uns sehr wohl. Wir sehen uns als Live-Band, die Leute kommen zu unseren Konzerten und wir sind sehr froh darüber, dass das schon seit Jahren funktioniert.

Live-Band – welchen Song spielt ihr auch nach sieben Jahren immer noch am liebsten? Habt ihr einen Song, den ihr immer wieder gerne spielt?

Joe: Jetzt gerade spielen wir die neuen Songs besonders gerne, weil wir die letzten 3 Jahre immer mit den selben Songs auf der Bühne standen. Das war schon eine ganz schön lange Zeit und deswegen haben wir uns jetzt auch umso mehr auf diese Tour gefreut, um endlich wieder mit neuen Sachen unterwegs zu sein.

Jennifer: Die alten Songs machen wir uns auch selbst ein bisschen schöner und machen sie immer wieder ein bisschen anders. Also, wir haben auch den Anspruch an uns selbst, wenn wir auf Tour gehen mit ‚alten‘ Songs, dass wir die Songs ein wenig verändern wollen…

Joe: …dass wir selber nicht den Spaß dran verlieren.

Jennifer: Ja, genau! „Ich kann nicht mehr“ zum Beispiel, der hört sich vielleicht für’s Publikum so an wie er war, aber wir haben den schon verändert und für uns ist das jetzt wieder was neues und anderes, wenn wir den spielen.

Christoph: Welcher auch nach drei oder vier Jahren immer noch Spaß macht ist der Song mit Nico: „Es war nicht alles schlecht“. Das ist immer der Moment, auf den sich alle ganz doll freuen, am Ende des Konzerts.

Was wolltet ihr immer schon mal gefragt werden? Was hat sich noch nie jemand getraut euch zu fragen?

Jennifer: Ach, da haben sich schon sehr, sehr viele Leute getraut alles zu fragen was es gibt.

Christoph: Obwohl, diese Bett-Frage haben sie sich letztens nicht getraut zu fragen.

Joe: „Wie läufts bei euch im Bett?“!

Christoph: Das stand auf dem Zettel drauf und wir haben gesehen, wie die Frage einfach übersprungen wurde. Aus Angst! (lacht)

Jennifer: Aus Angst, wir würden sie nicht richtig beantworten. (lacht)

Es gibt also keine Fragen, auf die ihr immer schon mal gern antworten wolltet?

Christoph: Ich finde, das kann man nicht an Fragen fest machen. Es gibt Interviews, da merkt man, dass es einfach ein bisschen tiefer geht. Wenn man selbst Spaß bekommt und nicht einfach irgendwelche Phrasen runter redet, sondern selbst merkt, da komm ein Gespräch auf.

Und die schlimmste Frage, die ihr je gestellt bekommen habt?

Jennifer: Also, die schlimmste Frage wird glaube ich immer die sein: „Wo kommt euer Bandname her?“, aber das kommt, Gott sei Dank, nicht mehr so oft.

Joe: Da gilt wieder das gesamte Interview, wenn man merkt, da hat sich jemand überhaupt nicht vorbereitet, dann macht das Interview auch keinen Spaß.

Christoph: „Magst du Damentennis?“ war auch eine sehr interessante Frage.

Jennifer: Ja, grad in dem Interview wurde ich gefragt, ob ich Damentennis mag. Das sollte ein Witz sein, weil ich immer so kiekse und die beim Damentennis immer kieksen. (kiekst) Der Witz kam aber gar nicht so gut an. (lacht)

Du, Joe, schreibst eure Songs hauptsächlich. Hast du bzw. habt ihr einen Herz-Song, in den ihr quasi alles reingelegt habt?

Joe: Es ist schon so, dass eigentlich in jedem Song alles drin steckt. Wenn man sagt: „Das ist mein Lieblingssong!“, dann wäre das so als würde man sagen: „Das ist mein Lieblingskind von meinen Kindern.“ Aber es gibt natürlich schon Songs, die mich persönlich mehr berühren. „Schlaflos“, „Ein Schmerz und eine Kehle“ und „Du nimmst mir die Angst“ sind auf jeden Fall Songs, die ganz weit vorne bei mir stehen.

„Ein Schmerz und eine Kehle“ bietet sich auch an – du hast im letzten Jahr deinem Freund auf einem eurer Konzerte einen Heiratsantrag gemacht. Ist da denn schon irgendwas in Planung?

Joe: (lächelt) Eigentlich wäre es schön gewesen, wenn wir das letztes Jahr schon geschafft hätten, aber durch die Album-Produktion war irgendwie überhaupt keine Zeit um an irgendwas anderes zu denken. Aber, wir haben uns jetzt vorgenommen, dass wir das diesen Sommer mal in Angriff nehmen. Das ‚Projekt‘! (lacht)

Zum Thema Internet. Verfolgt Ihr, was da so passiert? Diese netten ‚Shitstorms‘ die immer wieder statt finden?

Joe: Wie, ist da gerade was?

Nein, nein. Aber zum Beispiel wenn Du, Jennifer, etwas zum Thema Vegan oder Vegetarisch postest, dann geht’s sofort los mit: „Jaja, Veggie sein, aber Leder tragen“…

Jennifer: Oh, ja! Ich denk mir immer nur: „Man Leute, irgendwo..“. Also, es ist doch schön, wenn man irgendwo anfängt. Ich versteh nicht, warum die Leute immer an Sachen, die gut sind, irgendwas schlechtes sehen. Warum es immer so ist, dass wenn man eine Sache macht, auch das und das und das und das machen muss.

Ihr bekommt das also schon mit?

Jennifer: Joah, ich lese mir das schon durch. Das fängt dann so an und dann denk ich mir: „Boar, jetzt geht hier schon wieder die Diskussion los – kein Bock!“, und dann lass ich’s ganz schnell sein. Ich hab gar keine Lust, mir das rein zu ziehen, weil ich das einfach dumm finde. Ist ja auch nicht so, als würde man dann einen Kommentar dazu schreiben und dann sagen direkt alle: „Achso! Ja dann ist ja gut.“. Man schreibt dann was dazu und dann geht’s noch schlimmer weiter. Ich mach das so, wie ich das für richtig halte und das ist auch gut so. Sollten die alle lieber mal anfangen überhaupt irgendwas zu tun und sich mal keine Lederschuhe mehr kaufen.

Zurück zur Musik: Letztes Jahr habt ihr als ersten Song „Ein Schmerz und eine Kehle“ raus gebracht und danach gab es ein bisschen Grummeln in der Menge, weil der Song sich so anders anhört, als alles andere, was ihr bisher so gemacht habt.

Christoph: Die Entscheidung war ja bewusst!

Joe: Uns war auch vollkommen klar, dass der Song polarisiert und das nicht jeder total darauf abfährt, aber uns war klar, dass wir trotzdem genau diesen Song als erste Single raus bringen wollen, weil er uns wichtig war. Wir wussten, wenn wir den als erstes raus bringen, dass der die größte Aufmerksamkeit bekommt. Es gab natürlich viele Leute, die fanden das doof und hatten Angst, dass das Album scheisse wird, aber es gab auch viele Leute, die fanden das gut.

Jennifer: Uns war die Aussage wichtig und deshalb war es uns auch wichtig, den als erstes raus zu bringen.

Ist er gerade deshalb so anders? Eben weil euch die Aussage wichtig ist und der Song so aus dem Album besser raus sticht?

Joe: Es gibt ja öfters Songs, die ein bisschen raus stechen. Genauso könnte man sagen, dass „Schlaflos“ raus sticht, weil’s die einzige wirkliche Ballade auf dem Album ist. Oder, dass „Wenn der Wodka zweimal klingelt“ irgendwie raus sticht.

Der als einziger Song vom Album in Deutschland aufgenommen wurde.

Joe: Da ist aber jemand sehr gut informiert! (alle lachen)

Jennifer: Also, wir haben den jetzt nicht deswegen raus gebracht weil wir dachten: „Oh, das ist ja jetzt mal ein Song, der ist total anders und den müssen wir raus bringen!“, sondern für uns war das einfach klar. Der Song hat die größte Entwicklung durch gemacht. Wenn man das erste Demo davon hört – es ist echt krass, wie sich das entwickelt hat und als der fertig war, war für uns alle klar, wir wollen den raus bringen. Also, alle haben gesehen, dass das irgendwie was Besonderes ist und dann kam das noch mit der Russland-Thematik dazu. Spätestens da war es für uns einfach eine Herzens-Angelegenheit. Die Leute, die uns kennen haben damals gesagt: „Klar, da kommt noch was anderes. Jennifer Rostock, klar sind die auch Rock und klar sind die auch poppig!“. Diese Leute stehen dann auch total dahinter und so ein Shitstorm regelt sich meistens von ganz allein. Da muss man gar nicht drauf reagieren, das machen die Leute, die uns wirklich kennen, dann schon. Man nimmt sich das sonst alles so zu Herzen.

Das macht ihr generell gar nicht?

Jennifer: Ist mir total Bockwurst, was da geschrieben wird. Sorry, aber die Leute kennen mich nicht und zu 80% sind das wahrscheinlich Leute, die Langeweile haben, die ganze Zeit vorm Computer sitzen und sich denken: „Och, ich schreib hier mal wieder ’nen dummen Kommentar.“. Warum sollte man auf solche Leute eingehen? Meine Zeit daran verschwenden! (lacht)

Joe: Man muss auch lernen zu trennen zwischen dem – das bin ich und das ist mein Bild in der Öffentlichkeit – das sind zwei verschiedene Sachen und dann, wenn die Leute sich über das eine aufregen, das hat dann nichts mit mir zu tun. Das darf ich nicht persönlich nehmen. Jennifer Rostock ist dann ein ‚Thema‘, das zum Abschuss frei gegeben ist und da schießen die Leute eben gerne drauf.

Jennifer: Wir verstellen uns ja nicht. Wir sind alle Jennifer Rostock. Es ist ja nicht so, dass wir auf der Bühne andere Leute sind.

Es würde sich wahrscheinlich auch nicht jede Band trauen eine transsexuelle Dame in einem „Rage against the Putin“-Shirt in ihrem Video zu präsentieren.

Jennifer: Genau. Das war uns alles wichtig und da ist es auch egal, was andere Leute dazu sagen. Also, die Tour ist super bis jetzt! Es sind viele Leute da, alles ist nahezu ausverkauft.

Und die Resonanz ist soweit auch..

Jennifer: Super!

Christopher: Gerade bei dem Song auch. Da geht die Menge so drauf ab, das ist echt krass.

Wo am Anfang noch alle gemeckert haben…

Jennifer: Finden sie jetzt gut! Viele wissen aber glaube ich bis heute nicht, was der Song für eine Aussage hat. Da muss ich die Fahne wohl noch ein bisschen schwenken…

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