Im Interview mit Samantha Crain

unnamed (1)Nach dem von Kritikern gefeierten „Kid Face“ (2014) veröffentlichte Samantha Crain am Freitag, den 17. Juli ihr nun viertes Album „Under Branch & Thorn & Tree“. Die 26-jährige Singer-Songwriterin bringt darauf die Stimmen der Underdogs unserer Gesellschaft aus ihren Verstecken hervor. Fernab vom egozentrischen Denken richtet sich Crains Blick mit den neuen Songs voller einfühlsamer Weitsicht nach außen und erweckt Protest-Folk mit sanft gezupften Akustikgitarren zum Leben. Gemeinsam mit ihrem Produzenten John Vanderslice wurde ein erneut intimes Album kreiert, das einen durch diese warme, rauchige Stimme und elegant einfache Arrangements nicht mehr loslässt. Wir trafen sie für ein Interview, in dem sie uns von dem neuen Album erzählt, dessen computerfreie Aufnahmeprozesse und wie man einen Protest durch Mitgefühl vermittelt.

Der Albumtitel „Under Branch & Thorn & Tree“ stammt aus den Lyrics von dem Song „Outside The Pale“, in dem du den Underdogs eine Stimme gibst. „You and I tell the stories the TV won’t release. They keep us in the wild, under branch and thorn and tree“….

Ja, der Song zeigt so ziemlich worum es in dem gesamten Album geht: um soziale Ungleichheiten und das Ausgrenzen von Außenseitern in unserer Gesellschaft. Ich versuche den Leuten, die normalerweise ignoriert und nicht gehört werden, eine Stimme zu geben. „Under Branch & Thorn & Tree“, unter Zweigen und Dornen und Bäumen, dort verstecken sich diese Stimmen.

Indem du diese Stimmen aus dem Versteck holst, willst du die ursprüngliche Idee des Folks zurückbringen. Wofür steht Folk für dich?

Folk ist Musik für und über die Menschen, die im Leben kämpfen müssen. Die Geschichten dieser Menschen sollen erzählt werden.

In deiner musikalischen Vergangenheit hast du eher autobiografisch geschrieben. Jetzt richtest du den Blick nach außen. Wie war es, auf einmal die Perspektive zu wechseln?

Es war auf jeden Fall anders, aber nicht unbedingt schwierig. Ich habe so viel über mich selber geschrieben, über meine Erfahrungen und mein Leben, so dass ich das Gefühl habe, da alles ausgekostet zu haben. Es gab einfach nichts mehr über mich zu erzählen. Daher habe ich mich umgeschaut und mich für die Geschichten anderer interessiert. Diese Beobachtungen haben mir sehr viel Einfühlungsvermögen beigebracht und ich habe gelernt mich in andere Leute zu versetzen und über etwas zu schreiben, was sehr persönlich für jemanden anderen ist.

Hat das vielleicht auch etwas mit deinem Alter zu tun? Under Branch & Thorn & Tree“ ist dein viertes Album und du bist mittlerweile 28 Jahre alt. Mit Anfang 20 dreht sich die Welt ja eher um einen selber und diese egozentrische Blickweise ändert sich mit den Erfahrungen beim Älterwerden.

Oh ja, auf jeden Fall. Als Teenager denkst du ja tatsächlich nur über dich selber nach. Dieses Album hätte ich damals nicht schreiben können. Aber jetzt hat es mich sehr interessiert zu sehen, was in der Welt passiert und ich habe die Schönheit in den Geschichten der Unterdrückten entdeckt.

Du wirst bald 29, ich selber bin dort schon angekommen und mache mir oft über diese Zahl und über den Drang der Gesellschaft Gedanken, die einem erzählen will, was man in dem Alter schon gemacht haben sollte oder wo man stehen sollte. Ist dir so etwas wichtig?

Laut der Norm der Gesellschaft habe ich wohl eher nicht erreicht, was man in meinem Alter schon geschafft haben sollte. Ich sollte in dem Fall ja schon verheiratet sein und Kinder und einen „richtigen“ Job haben. Zum Glück denken meine Eltern nicht so und haben mich nie unter Druck gesetzt, was das angeht. Ich fühle mich tatsächlich meinem Alter entsprechend. Ich bin dankbar, dass ich schon so viel von der Welt gesehen habe. Es stört mich nicht älter zu werden, denn ich habe das Gefühl ich werde eine besserer Mensch, je älter ich werde. Ich lerne mehr über mich selber und über andere. Es kann also nur besser werden.

Das wirkt sich ja auch hörbar in deiner Musik aus.

Ich bin viel selbstbewusster was meine Musik angeht. Je älter ich werde, desto mehr kann ich meine Ideen umsetzen. Wenn ich zurückblicke, dann fällt mir zum Beispiel auf, dass mein zweites Album sehr durcheinander, chaotisch und nicht fokussiert war. Das war ich zu dem Zeitpunkt mental eben auch. Es ist schade, dass in der Musikindustrie oft Jugend zu sehr im Mittelpunkt steht und fast erwartet wird, dass man es mit Anfang 20 schon „geschafft“ hat.

Du hast erneut John Vanderslice als Produzenten für deine Platte gewählt. In den Tiny Telephone Studios in San Francisco habt ihr die Songs aufgenommen. Was hat euch dazu bewegt das Album komplett analog fertigzustellen?

John ist eine meiner größten Inspirationsquellen. Er hat mir so viel beigebracht, persönlich und musikalisch. Seine Kreativität im Studio und sein geschultes Ohr sind beeindruckend. Früher habe ich mich mit einem Kontrollwahn an die Aufnahmen gemacht, aber John hat mir beigebracht da entspannter ranzugehen. Schon das letzte Album „Kidface“ haben wir analog aufgenommen, da John’s Studio sowieso komplett analog eingerichtet ist. Es gibt dort keinen einzigen Computer. Mit „Under Branch & Thorn & Tree“ sind wir einen Schritt weitergegangen. Wir haben auf alles auf einem 2-inch-Tape aufgenommen, dann auf einem Half-inch-Tape gemixt. Dieses Mal konnten wir sogar die Vinylpressung in Bernie Grundman’s Mastering Studio vornehmen, so dass die fertige Platte letztendlich entstanden ist, ohne jemals mit einem Computer oder anderen digitalen Signalen in Verbindung gekommen zu sein. Dieser Hi-Fi-Analog-Sound gibt der Musik etwas menschliches. Wie bei den alten Platten von Crosby, Stills & Nash, Simon And Garfunkel, Neil Young oder Joni Mitchell hat man das Gefühl, dass sie direkt vor dir sitzen, wenn du deine Augen schließt und zuhörst. Oft ist dieses Gefühl durch die neuen Technologien verloren gegangen. Natürlich will ich es nicht nur schlecht reden, denn selbstverständlich ist dadurch auch unglaublich gute Musik entstanden. Aber manchmal ist es eben gut durch so eine Back-To-Basic Herangehensweise zu sehen, dass Musik auch nur von Menschen gemacht werden kann.

Liegt es an der analogen Herangehensweise, dass ihr so nur zehn Tage für das Ganze gebraucht habt? Du arbeitest ja gerne so schnell, wieso ist dir das wichtig?

Wir haben die Songs in 6 Tagen aufgenommen und dann in 4 Tagen gemixt. Die meisten Leute denken, das ist sehr schnell, aber das mache ich gerne so. John ist sehr effizient, daher arbeite ich auch so gerne mit ihm. Wenn man auf Tape aufnimmt, kann man eh nur 1-3 Wiederholungen aufnehmen, denn sonst leidet die Qualität darunter. Ich mag diesen Druck, denn dann spielt man viel konzentrierter. Je öfter man eine Sache aufnimmt, desto mehr verliert man den Überblick.

Die Suche nach der perfekten Aufnahme kann sicher endlos sein.

Eben, und es geht tatsächlich nicht unbedingt um Perfektion, wenn man Musik aufnimmt, sondern darum die Energie einzufangen und rüberzubringen.
Außerdem mag ich, dass sich die Musik noch so frisch anfühlt. Wenn du nur ein paar Tage im Studio verbracht hast, ist alles noch sehr aufregend, wenn man dann tatsächlich das Endprodukt so schnell in der Hand halten kann. Stell dir vor, du hast Monate oder sogar Jahre daran gearbeitet. Dann will man doch gar nicht mehr darüber reden und die Sache einfach nur abhaken. Ich fühle mich immer noch sehr verbunden mit der Musik vom neuen Album, da alles eben noch sehr frisch ist.

Wo und wann und wie sollte man sich diese Musik am besten anhören?

Unbedingt auf Vinyl. Da der ganze Aufnahmeprozess analog war, sollte auch das ideale Hörerlebnis analog sein. Es sollte auf jeden Fall an einem stillen Ort stattfinden, da im Hintergrund sehr viele Soundnuancen zu hören sind, die man sonst leicht überhören könnte.

In dem Song „Elk City“ singst du: „Get me outta this town, get me outta this dream, I’ve been drinkin away all my money”. Ein Lied über die verlorenen Seelen der Stadt, das Fortgehen…

„Elk City“ ist das erste Lied, das ich für dieses Album geschrieben habe. Es geht um eine Frau, die ich sehr zufällig in einer Bar traf. Sie erzählte mir ihre komplette Lebensgeschichte und was sie alles durchgemacht hatte. Ich schrieb ihre Geschichte auf und bemerkte, dass ich sie als sehr multidimensionale Frau darstellte. Auch in unserer heutigen Gesellschaft werden Frauen doch eher als zweidimensional abgestempelt: entweder manisch glücklich oder deprimierend traurig. Das gab mir den Anstoß Frauen in meinen Songs anders zu zeigen, denn nur so kann der vorherrschende Sexismus irgendwie vernichtet werden. Frauen sind multidimensional und die Medien sollten als erstes dieses Portrait rüberbringen, dazu gehört die Kunst, Literatur und eben Musik. „OutsideThe Pale“, „Kathleen“ und „Elk City“ sind alles Oden an Working Class-Frauen.

Siehst du das Album selbst auch als Protest-Album? So wird es ja gerade überall beschrieben.

Ich sehe es tatsächlich nicht als ein taditionelles Protest-Album. Es hat aber schon so ein Power-To-The People-Konzept. Ich versuche ein Verständnis für gewisse Probleme anzuregen und ich möchte, dass Leute über diese Geschichten nachdenken. Sonst hätte ich ja auch einfach mehr Liebeslieder schreiben können. Aber ich habe nicht versucht ein Woodie Guthrie Album nachzustellen oder so etwas in der Richtung. Bei einem Protest geht es um zwei Meinungen, und einer versucht zu gewinnen oder zu überzeugen. Ich finde es effektiver Leute in politische Unterhaltungen zu involvieren, indem man ihnen Geschichten über soziale Ungerechtigkeiten erzählt und sie dadurch ein Mitgefühl entwickeln. Es geht mehr um die Menschen als um bestimmte Ideen.

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Interview: Christina Heckmann

Foto (c) David McClister