Hundred Waters im Interview

Es ist früh an dem Abend, an dem die magischen Hundred Waters beim Kometenmelodien-Event in der Berghain Kantine spielen werden. Die Sounds vom aktuellen Album „The Moon Rang Like A Bell“ werden dem Berliner Publikum präsentiert, aber vorher wird sich unterhalten. Über Musik natürlich und wie limitierend Sprache sein kann, wenn es darum geht, genau diese zu beschreiben. Alle vier Bandmitglieder finden sich zum Diskutieren zusammen: Sängerin Nicole Miglis, Schlagzeuger Zach Tetreault und Gitarristen und Elektromeister Paul Giese und Trayer Tryon.

Als Autorin bei einem Musikmagazin ist es klar, dass ich ständig Musik mit Worten beschreibe. Manchmal ist es sehr schwierig Worte für etwas zu finden, was man beim Hören fühlt. Hundred Waters ist für mich eine besondere Herausforderung. Die Musik transportiert an einen Ort, der nicht von dieser Welt ist. Wie soll man so etwas beschreiben?

Zach: Für uns ist es die gleiche Herausforderung. Es ist wirklich schwierig darauf zu antworten.

Nicole: Ich denke, dass es schwierig ist, weil die Musik ja auch von Song zu Song anders klingt, mit einer großen Reichweite. Kein einziges Wort kann das alles zusammenfassen. Unsere Musik hat viele verschiedene Stimmungen, was darauf zurückzuführen ist, wie wir uns fühlen, wenn wir sie machen. Für mich ist es total querbeet.

Umso schwieriger es in ein Genre zu quetschen.

Trayer: Es wäre wahrscheinlich einfacher zu sagen, was es nicht ist. Es ist auf keinen Fall Dance, kein Rockabilly oder Musik aus Kambodia. (lacht)

Nicole: Es ist emotional aufgeladen, definitiv. Aber man kann es nicht auf ein Gefühl festlegen.

Zach: Es ist emotionale Musik, so kann man es beschreiben.

Trayer: Ha! Emo! (alle lachen)

Nicole: Ist nicht jede Musik emotional?

Eure Musik schafft es Emotionen hervorzurufen, deswegen kann ich es verstehen, wenn es oft so bezeichnet wird. Es scheint auch ein großer Schwerpunkt auf Symbolik und Bildsprache und Imagination zu liegen. Welche Rolle spielen diese für euch?

Nicole: Eine große! Wie bei allem Kreativen.

Trayer: Es ist ja nicht so, dass es nur um die Vorstellungskraft geht. Ich stelle mir nicht vor wie irgendetwas klingen soll und dann produziere ich es so. Man geht das Musikmachen einfach an wie eine Entdeckungsreise.

Paul: Manchmal erinnert ein Sound an einen Ort und dann funktioniert die Vorstellungskraft wie ein Werkzeug. Wenn ich Musik mache, dann ist erstmal noch kein Text oder Worte vorhanden, so dass mir die Imagination hilft das alles zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Mentale Bilder können durch Erinnerung oder durch Vorstellungskraft hervorgerufen werden Welches ist bei eurem Songwriting wichtiger, Erinnerung oder Phantasie?

Paul: Es ist schwer Erinnerungen von irgendetwas zu trennen. Alles was wir tun baut ja auf die Vergangenheit auf.

Nicole: Stimmt. Bei der Vorstellungskraft ist es doch so, dass man sich nur auf seine eigenen Erfahrungen bezieht.

Trayer: Nein, denn wenn das stimmen würde, dann wären kleine Kinder doch nicht so von ihrer Vorstellungskraft geleitet? Man redet doch immer von Kindern und ihrer grenzenlosen Phantasie. Je älter man wird, desto mehr Erfahrungen kommen dazu.

Nicole: Es gibt so vieles was wir über Erinnerungen und Vorstellungen nicht verstehen. Ich glaube nicht unbedingt an vergangene Leben oder so, aber ich denke schon, dass viele verschiedene Kräfte auf einen einwirken. Es ist diese westliche Einstellung, dass nur Erfahrungen auf einen einwirken und dass das alles ist, was wir haben. Ständig werden andere Sachen absorbiert, was man gar nicht realisieren kann. Es gibt so vieles, was wir nicht wissen.

Irgendwie schafft ihr genau das mit eurer Musik auszudrücken. Man wird an einen anderen Ort transportiert, es öffnet andere Welten und die Emotionen fließen frei. Jedes Mal, wenn ich das Album höre, bin ich völlig losgelöst von meiner Umgebung. Deswegen hat mir dieses Zitat von der New York Times so sehr gefallen…

Nicole: Oh ja, ich weiß welches Zitat du meinst. Es ist wirklich sehr schön.

Sie beschreiben eure Live Shows als “A watercolor wash of possibilities, a suspension of time, an embrace of textural experiment and open-ended expectations.” Sehr schön ausgedrückt, ich wünschte das hätte ich gesagt.

Trayer: Es ist sicher einfacher über eine Live-Performance zu schreiben als über ein Album. Live ist mehr down-to-earth, es spielt sich vor dir ab und nicht in dir, wenn man beim Album hören seine Augen schließt und nur die Musik aufnimmt.

Was ist eurer Meinung nach die perfekte Situation, in der man eure Musik hören sollte? In welcher Umgebung, an welchem Ort?

Trayer: Beim Spazierengehen.

Nicole: Beim Songwriting haben wir uns immer irgendwie bewegt. Auf Tour, im Bus, Auto, laufen, … Ich weiß nicht, ob es dann beim Hören auch so sein sollte. Also, ich würde sagen: irgendeine Vorwärtsbewegung. (lacht)

Paul: Mir haben ein paar Leute erzählt, dass sie das letzte Album gerne unter der Dusche gehört haben. Was sie dort machen, das haben sie nicht gesagt… (alle lachen)

Zach: Im Flugzeug! Nein, während einer Achterbahnfahrt! Damit hätten wir schnelle Vorwärtsbewegungen.

Der Titel eures Albums „The Moon Rang Like A Bell“ klingt wunderschön und sehr passend. Es vermittelt ein Bild und gleichzeitig stellt man sich einen Klang vor. Genau wie euer Bandname „Hundred Waters“, der von dem österreichischen Künstler Friedrich Hundertwasser inspiriert ist.

Nicole: Hundred Waters. Die Worte haben sich einfach gut angefühlt. Wir theorisieren nicht so gerne darüber. Der Name macht jetzt einfach Sinn, je mehr Zeit vergeht.

Trayer: Der Bandname hat neben all den anderen Einflüssen auch etwas mit unserer Heimat zu tun. Wir hätten uns wahrscheinlich nicht so genannt, wenn wir in Downtown L.A. leben würden. Wir kommen aus Florida, es ist tropisch und regnet ständig, man schwimmt oft. Irgendwie steckt das auch in dem Namen drin.

Eure Musik könnte aber auch gut mit Malerei beschrieben werden. Die Hundertwasser Bilder passen zu dem Sound.

Trayer: Bilder von Hundertwasser haben wir auf unserem ersten Trip nach Europa entdeckt und uns direkt verliebt. Wir wussten sofort, dass der Name passt, nachdem wir Ewigkeiten auf der Suche waren.

Paul: Das Buch mit den Bildern haben wir uns auf einer Zugfahrt in Deutschland angesehen. Wir waren auf dem Weg nach Lübeck. Mir gefällt an dem Namen, dass er so unspezifisch klingt. Phonetisch hört es sich gut an. Ich sage den Namen gern.

Trayer: Ich nicht. Mag irgendjemand generell seinen eigenen Namen sagen?

Nicole: Ich liebe es Hundred Waters auszusprechen. Wasser ist so ein schönes Symbol und steht für so vieles.

Trayer: Und der Satz „Moon Rang Like A Bell“ steht auch für so viele verschiedene Dinge. Der Mond steht für einen wüsten Ort, Einsamkeit, …

Nicole: Es ist ein Zitat von Buzz Aldrin, der mit Neill Armstrong auf dem Mond gelandet ist. Er hat gesagt, der Mond klang wie eine Glocke.

Trayer: Wir hatten den Satz im Kopf bevor wir wussten, dass es ein Zitat ist. Das war irgendwie unheimlich.

Nicole: Auf dem Mond gibt es kein Wasser und es gibt nichts was einen Ton dämpfen könnte. Also klingt jeder Sound nach bis er auf natürliche Weise zerfällt.

Trayer: Ich könnte ewig darüber reden, man kann so viel darin lesen und interpretieren es greift in so viel über. Aber gleichzeitig ist es schwierig über solche Dinge zu reden. Manchmal ist es abstoßend und macht einen nervös.

Meistens sollte sowieso die Musik für sich selber sprechen und nicht totgeredet werden. Es kann auch immer wieder neu interpretiert werden. Es ist euch auch sehr wichtig dem Zuhörer diese Freiheit zu geben die Musik für sich zu interpretieren, richtig?

Nicole: Jeder interpretiert Musik für sich. Ich möchte nicht jemanden etwas Abstraktes aufzwingen, sondern jedem seine persönliche Erfahrung mit den Songs lassen. Musik ist sowieso so abstrakt. Dass man jemandem seine eigene Interpretation auferlegt, wirkt unmöglich. Worte sind so limitierend. Sprache ist so viel später entstanden im Vergleich zu der Zeit, die wir Menschen auf der Erde sind. Sprache ist so unvollendet.

Trayer: Während man schreibt, lässt man alles raus. Es gibt keinen Anfang, kein Ende. Nicht alles macht für andere Sinn, aber für dich selber schon.

Sobald die Musik veröffentlicht wird, überreicht man sie ja an die Leute. Jeder kann dann damit und daraus machen was er will.

Nicole: Genau. Und dann kann man es in der Achterbahn hören, so wie Zach sich das vorstellt. (Alle lachen)

Paul: Im Riesenrad wäre auch schön.

Interview: Christina Heckmann

Foto: Markus Werner