Gesehen: PIPPA LEE von Rebecca Miller

Nachdem PIPPA LEE bereits im vergangenen Jahr (unter dem Titel „The Private Lifes Of Pippa Lee“) auf der Berlinale seine Premiere feierte, kommt der Film endlich ab heute bundesweit in die Kinos.

Pippa LeeVon außen betrachtet wirkt Pippa Lees Leben wie aus dem Bilderbuch. Zwar geht sie langsam auf die 50 zu, doch sieht sieht noch immer blendend aus und stellt sich dem Leben jeden Tag wie aus dem Ei gepellt. Ihrem 30 Jahre älteren Ehemann Herb, einem erfolgreichen New Yorker Verleger, steht Pippa Lee, ganze Vorzeige-Ehefrau, ergeben, klug und stets bestens gelaunt zur Seite. Nebenbei schmeißt sie mühelos den Haushalt und  lädt mindestens einmal die Woche als makellose Gastgeberin zur Dinnerparty.

Auch auf die beiden erwachsenen Kinder kann man stolz sein: Sohn Ben steht kurz vor dem Abschluss des Jura-Studiums und stärkt seiner Mutter den Rücken; Tochter Grace ist eine erfolgreiche Fotografin in Krisengebieten, die ihren Vater vergöttert. Selbst als Pippa und Herb nach seinem dritten Herzinfarkt vom lebhaften Manhattan in die beschauliche Rentnerkolonie im ländlichen Connecticut umziehen, scheint sie weit weniger Anpassungsprobleme zu haben als ihr Mann, der sich mit dem ruhigen Leben nur schwer anfreunden mag.

Robin Wright_Alan ArkinBald zeigt sich allerdings, dass Langeweile, betuliche Töpferkurse oder die Ehekrise eines befreundeten Paares im idyllischen neuen Zuhause nicht das einzige Problem sind. Eine morgens mit Schokoladentorte verwüstete Küche, eine Socke im Kühlschrank, Zigarettenstummel im Auto – unter dem gepflegten Eigenheim-Dach der Lees gehen seltsame Dinge vor.

Als allerdings eine Überwachsungskamera für Aufklärung sorgen soll, ist die Überraschung groß: Nicht Herb ist es, der unter ersten Anzeichen von Demenz leidet, sondern Pippa  Lee selbst schlafwandelt nachts, ohne sich am folgenden Morgen daran erinnern zu können. Manchmal verschlägt es sie im Nachthemd sogar bis zum Lebensmittelmarkt am Stadtrand, wo seit neuestem der attraktive Chris Nadeau arbeitet, der etwas aus der Art geschlagene und gerade wieder nach Hause zurückgekehrte Sohn von Nachbarin Dot.

Robin Wright_Keanu ReevesDoch es ist kein stiller Nervenzusammenbruch, den Pippa Lee, kaum bemerkt von ihren Mitmenschen, erleidet. Vielmehr muss sie ganz zögerlich und schleichend erkennen, dass sich hinter der makellosen Fassade, die sie sich im Laufe der Jahre aufgebaut hat, doch der eine oder andere Abgrund versteckt, den sie eigentlich längst hatte vergessen wollen.
Die Erinnerung etwa an die Kindheit und Jugend im Pastorenhaushalt, wo ihre unkonventionelle Mutter Suky mit Unmengen von Tabletten gegen Stimmungsschwankungen und Depressionen kämpfte, bis Pippa Lee als Teenager schließlich in die Obhut ihrer Tante Trish und deren exzentrisch-dominanter Geliebter Kat flüchtete. Oder an ihre eigenen rauschhaften Jahre voller Drogen und Sex im Großstadtdschungel New York, wo sie irgendwann die Bekanntschaft des charismatischen Herb machte, den sie zielstrebig – und mit fatalen Folgen – seiner ebenso wohlhabenden wie theatralischen Ehefrau Gigi ausspannte.

So bleibt Pippa Lee  schließlich nichts anderes übrig, als sich ihrer Blake Lively_Alan Arkinturbulenten Vergangenheit genauso zu stellen wie den lange unterdrückten Bedürfnissen ihres heutigen Alltags. Mit dem einfühlsamen Chris als überraschendem Begleiter an ihrer Seite begibt sie sich auf eine bittersüße Suche nach ihrem wahren Selbst. Eine Reise voller ungewöhnlicher Entdeckungen, die gleichzeitig die Chance auf einen neuen Anfang bieten könnte.

PIPPA LEE basiert auf dem 2008 erschienenen gleichnamigen Roman von Rebecca Miller. Das entstandene Drehbuch bezeichnet Miller aber eher als „Neuerfindung“ ihres Romans, weniger als Adaption im eigentlichen Sinne: „Für den Film bin ich einfach noch tiefer in die gleiche Materie eingedrungen. Die Erzählform ist natürlich eine ganz andere. Und bis zu einem gewissen Grad ist auch die Handlung nicht ganz die gleiche. Sogar die Figuren sind nicht mehr dieselben, denn natürlich verändern sie sich mit den Schauspielern. Ich hatte aber ohnehin nie das Gefühl, ich müsste mich sklavisch an dem Buch entlanghangeln, denn das hatte ich ja bereits geschrieben und abgeschlossen. Nun hatte ich die Freiheit zu experimentieren.“

PIPPA LEE ist bis in die kleinsten Rollen hervorragend und prominent besetzt. Neben der großartigen Robin Wright in der Titelrolle und Oscar® Preisträger Alan Arkin als ihr Ehemann, glänzen beispielsweise Teenie-Star Blake Lively (als junge Pippa Lee), Julianne Moore und Winona Ryder. Einzig bei Keanu Reeves ist die perfekte Besetzung nicht ganz gelungen. Die Rolle des leicht missratenen tätowierten 35jährigen Nachbarssohn nimmt man ihm leider nicht (mehr) ganz ab.

PIPPA LEE zieht einen mehr und mehr in seinen Bann wenn die Fassade der biederen Vorzeige-Ehefrau bröckelt und Stück für Stück die “anderen Leben” der Pippa Lee freigelegt werden. Ein gefühlvoller Film mit gleichermaßen komischen wie tragischen Momenten, den man sich nicht entgehen lassen sollte.

Trailer:

Gesehen von: Michaela Marmulla

Fotos: (c) SENATOR