Gelesen: Peter Nichols „Die Sommer mit Lulu“

Peter Nichols Die Sommer mit LuluEr führt fast ein bisschen in die Irre, der deutsche Titel von Peter Nichols neuem Roman. Wer hinter „Die Sommer mit Lulu“ einen sommerlich leichten Liebesroman erwartet, dürfte zumindest in Teilen enttäuscht werden. Um Liebe geht es natürlich schon und um jene Lulu auch, aber es wartet wenig Erfüllung auf einen in dieser 60 Jahrzehnte umspannenden Familiengeschichte. Aber um Irrwege geht es auch, von daher passt diese leichte Irritation schon wieder. Schließlich ist Gerald, eine der Hauptfiguren, besessen von Homers „Odyssee“. Jeder hat hier so die seine zu gehen.
Der englische Originaltitel „The Rocks“ trifft es aber schlichtweg ein bisschen besser. Denn jene Klippen an der Küste Mallorcas sind der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Hier hat Lulu sich einst mit der Hilfe von Freunden ein Haus gekauft und beschlossen, dort ihr weiteres Leben zu verbringen, immer umgeben von Freunden, später baut sie das Ganze nach und nach zum Hotel aus, das für viele eine feste Anlaufstelle im Sommer ist. Es ist ein Ort, der vielen Vieles bedeutet, aber nicht alle finden auch automatisch ihr Glück dort. Sie, Lulu und Gerald, sind zwei Engländer, die nach dem zweiten Weltkrieg auf Mallorca gestrandet sind, sich dort kennengelernt, verliebt und geheiratet haben. Das Glück währt nicht lang, es zerbricht schon kurz nach der Hochzeitsreise auf Geralds kleiner Yacht, mit der sie auf den Spuren von Odysseus Richtung Italien geschippert sind. Was genau passiert ist weiß lange keiner, nur dass es schlimm gewesen sein muss und dass Lulu und Gerald sich seitdem nichts mehr zu sagen haben. Trotzdem bleiben sie beide Mallorca treu, sie auf den Klippen, er auf einem bescheidenen Anwesen mit eigenem Olivenhain, von dem er fortan lebt. Sie heiraten beide wieder, kriegen Kinder, und später sind es diese beiden, Lulus Sohn Luc und Geralds Tochter Aegina, die auf schicksalhaft unerfüllte Weise miteinander verstrickt sind.
Am Ende ihres Lebens, mit über 80, stürzen Lulu und Gerald von den Klippen hinunter gemeinsam in den Tod. Kein romantischer Akt, ein banaler Unfall ist es, der die beiden nach Jahren der Kommunikationslosigkeit wieder miteinander vereint. Aber nein, hier wird nicht gespoilert, denn dieses Ende ist bei Peter Nichols der Anfang. Er rollt die Geschichte von Lulu und Gerald, von Luc und Aegina bis hin zu Aeginas Sohn Charlie von hinten auf. Dazu pickt er sich die schicksalhaftesten Momente seiner Figuren zwischen 1948 und 2005 raus und erzählt sie in einzelnen Abschnitten. Er lässt sich viel Zeit, die einzelnen Episoden zu entwickeln, weshalb man auch als Leser gut die Möglichkeit bekommt, in den verschiedenen Zeitabschnitten an- und zurechtzukommen.
„Die Sommer mit Lulu“ ist nach Gustaaf Peeks „Göttin und Held“ die zweite rückwärts erzählte Liebesgeschichte, die ich innerhalb kurzer Zeit gelesen habe. Entsprechend fällt es mir auf, wie angenehm auserzählt und ruhig Nichols die Rückschritte vornimmt. Die Technik hat bei ihm eher etwas episodenhaftes, liest sich deshalb aber auch angenehmer. Interessant ist bei dieser Vorgehensweise immer wieder, wie lang man dafür brauchen kann, einer Figur näher zu kommen, deren Beweggründe lange im Dunkeln bleiben. Diese Lulu ist nämlich gewiss eine faszinierende, aber auch nicht immer eine angenehme Persönlichkeit. Jeder um sie herum scheint sich von ihr angezogen zu fühlen. Sie gibt viel, Freundschaft, Zuflucht denen die sie suchen, auch sexuell ist sie bis ins hohe Alter äußerst aufgeschlossen – dem 15 jährigen Charlie nimmt sie mit über 70 noch die Unschuld. Aber eigentlich kann keiner für sich beanspruchen sie wirklich zu kennen, selbst ihr eigener Sohn Luc nicht. Es ist auch als Leser nicht so leicht mit ihr warm zu werden, man brennt darauf zu erfahren, was passiert ist, dass sie sich Gerald gegenüber bis zum bitteren Ende derart unversöhnlich verhält. Am Ende ist es fast eine Erfahrung fürs Leben, die man mit nimmt, nämlich wie schwer es ist, Menschen voll zu be- und verurteilen, wenn man nicht alles von ihnen weiß.
Ohne Pathos, dafür mit viel Schwermut erzählt Peter Nichols die Geschichte der zwei Familien, deren Mitglieder alle auf ihre Art auf Mallorca gestrandet sind, körperlich und/oder emotional. Manche der Episoden sind so spannend, dass man das Buch nur schwer aus der Hand legen kann. Man muss Lulu nicht unbedingt lieben, aber diesen Peter Nichols, den kann man durchaus ins Herz schließen.

Info: Peter Nichols ist zehn Jahre zur See gefahren, bevor er anfing sich voll der Schriftstellerei zu widmen. Er hat mehrere Bücher über das Segeln verfasst. „Die Sommer mit Lulu“, sein erster Roman, ist im Klett-Cotta Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

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