Gelesen: Gustaaf Peek „Göttin und Held“

An dem Abend, an dem ich „Göttin und Held“ ausgelesen habe, habe ich das Buch zur Seite gelegt und bin eingeschlafen. Wenig später bin ich wieder aufgewacht, weil ich geträumt habe, ich hätte weiter gelesen. Dabei ist mir quasi im Schlaf aufgefallen, wie speziell Gustaaf Peeks Sprachduktus ist, allein an dem Rhythmus der Worte konnte ich im Traum erkennen, dass es sich um seinen Roman handelte, den ich, eben noch beiseite gelegt, im Kopf weiter spann.
Tatsächlich ist die Form mit das Spannendste an „Göttin und Held“, dem vierten Roman des niederländischen Bestsellerautors Gustaaf Peek. Die Handlung ist leicht und schnell erzählt. Tessa und Marius lernen sich bereits im Jugendalter kennen und machen miteinander ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Ihr ganzes Leben lang verlieren sie sich darauf hin nicht aus den Augen, auch nicht in den Zeiten, in denen sie beide jeweils andere Partner haben. Tessa ist lange Zeit sogar verheiratet und bekommt einen Sohn, aber durch ein zufälliges Wiedersehen flammt die Beziehung wieder auf und wird zu einer Affäre, im fortgeschrittenen Alter leben sie zum ersten Mal richtig als Paar zusammen. Bis zu ihrer beider Lebensende, seines auf dem Boden eines Hotelbadezimmers, ihres in einem Institut für Sterbehilfe, werden sie nie diese besondere Anziehung los, die sie miteinander verbindet, eine rohe, ungezügelte Leidenschaft, das Bedürfnis, sich dem jeweils anderen völlig auszuliefern und zu unterwerten.
Gustaaf Peek rollt die Geschichte des leidenschaftlichen Paares von hinten auf, er erzählt sie in umgekehrter Chronologie von Tessas Beerdigung bis zur ersten Begegnung der jungen Liebenden. Das bedarf am Anfang ein wenig Gewöhnung, funktioniert mit der Zeit aber so gut, dass man der Handlung problemlos folgen kann, ohne den Faden zu verlieren. Interessant ist jedoch immer, was von einer Geschichte übrig bleibt, die von einem formal starken Kniff lebt, wenn man ihr diesen entzieht. Wie unterschiedlich das Ergebnis ist, kann man vor allem in der Welt des Films gut sehen: hätte Sebastian Schipper sein viel gelobtes und ausgezeichnetes Werk „Victoria“ nicht in einer Kameraeinstellung ohne Schnitt durch gedreht, was bliebe dem Film qualitativ? Eine unglaubwürdige Handlung mit schablonenhaften Charakteren. Hätte Quentin Tarantino hingehen seine Handlungsstränge in „Pulp Fiction“ nicht nach dem Schüttelprinzip sondern chronologisch angeordnet, es wäre immer noch ein ziemlich guter Film mit überraschenden Wendungen und starken Charakteren geworden. „Göttin und Held“ liegt, wenn man nach diesem Kriterium bewertet, irgendwo dazwischen. Was bleibt ist Gustaafs Peeks eigene, kunstvolle und gleichzeitig schlichte Sprache und die Tatsache, dass man der Beschreibung einer derart leidenschaftlichen Beziehung mit ausreichend Spannung beiwohnen kann. Die körperlichen Begegnungen der beiden Protagonisten beschreibt er explizit, manchmal obszön, ohne dabei seine sprachlichen Qualitäten einzubüßen und vor allem durch den umgekehrten Aufbau der Geschichte bleibt es die meiste Zeit spannend, da man aus der Handlung wenig logische Schlüsse ziehen kann.
Das Problem von „Göttin und Held“ ist, dass man zu wenig über die beiden Hauptfiguren erfährt und sich so mit ihrer Beziehung zueinander, um mehr geht es ja letztendlich nicht, schwer tut. Ist es wirklich leidenschaftliche Liebe oder reines körperliches Begehren? Man tendiert dazu, es auf Letzteres zu reduzieren, da die emotionalen Beweggründe beider Charaktere fast komplett im Dunkeln bleiben. Tessa verliert zum Beispiel ihr einziges Kind, was das mit ihr als Mutter und Frau macht, wird überhaupt nicht aufgegriffen. Selbst als man im Jugendalter der beiden angekommen ist, offenbart sich nicht wirklich viel oder, im Fall von Marius eher Unangenehmes, da er sich letztendlich vor allem als besessener Freak entpuppt. Für ein wenig Erhellung sorgen die zwei allerletzten Seiten, auf denen sich die Lebenswünsche der jungen Tessa enthüllen und man sich als Leser rückwirkend fragen kann, wieviel davon für sie am Ende aufgegangen ist. Das reicht aber nicht, um mit den Protagonisten wirklich warm zu werden, sodass am Ende leider das Gefühl bleibt, man habe künstlerisch wertvolle Zeit mit Leuten verbracht, die man einfach nicht leiden mag.

Info: Gustaf Peek, geboren 1975, studierte Anglistik in Leiden. „Göttin und Held“, sein vierter Roman, ist in seiner Heimat, den Niederlanden, ein Beststeller. Er ist im DVA Verlag erschienen und kann hier käuflich erworben werden.

Gelesen von: Gabi Rudolph

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