Gelesen: Doris Dörrie „Diebe und Vampire“

819lqyqq9nl-_sl1500_Eigentlich gehört es zu den erzählerischen Todsünden, wenn eine Zunft sich inhaltlich zu sehr um sich selber dreht. Schauspieler, die Drehbücher über ihr schweres Leben als Schauspieler schreiben, zum Beispiel. In ihrem aktuellen Roman „Diebe und Vampire“ wirft Doris Dörrie einen amüsant schmerzhaften Blick auf die Welt der Schriftstellerei. Und warum das bei ihr so gar nicht in die Hose geht hat einen schlichten Grund: Doris Dörrie kann das, was sie tut, einfach verdammt gut.
Egal ob es sich um ihre Filme, ihre Erzählungen oder ihre Romane handelt, Doris Dörrie ist schlichtweg eine gute Erzählerin. Das hebt sie, als alten Hasen im deutschen Filmgeschäft, auch noch nach all den Jahren angenehm von vielen Kollegen ab. Hauptsächlich mag das an ihren Figuren liegen, denn es passiert immer etwas zwischen ihnen. Da liegt eine Grundspannung zwischen ihren Handelnden, die nicht immer angenehm sein mag, aber sie ist da und sie treibt die Handlung gnadenlos voran. Und das, obwohl noch nicht einmal zwingend viel passiert.
Auch „Diebe und Vampire“ ist vor allem eine Charakterstudie, die direkter nicht sein könnte, denn Alice, die Hauptfigur, erzählt selbst von sich in zwei Etappen, einmal als junge Frau, einmal im fortgeschrittenen Alter. Mit den Jahren hat sich einiges geändert, einiges auch nicht, Alice‘ Grundproblem ist dieses ständige Wollen, das sich aber so schlecht umsetzen lässt. Selbst später, als reife Frau mit augenscheinlichem Erfolg, liegt dieser Schatten des Scheiterns stets über ihr, und er hat sogar einen Namen: Schreibblockade.
Alice ist jung, aber nicht mehr so jung dass sie nicht wüsste, es ist an der Zeit langsam etwas aus ihrem Leben zu machen. Ein Ziel hat sie, allein die Umsetzung ist so schwer: sie möchte Schriftstellerin werden. Das mit dem Bücher lesen klappt schon ganz gut, das mit dem Schreiben weniger. Im Mexiko Urlaub mit ihrem Partner, einem verheirateten, älteren Schönheitschirurgen, trifft sie auf ihre „Meisterin“, die sie fortan immer so nennen wird. Die Amerikanerin ist das, was Alice gerne wäre, sie ist Schriftstellerin und voller Disziplin, jeden Tag setzt sie sich, selbst im Urlaub, an den Schreibtisch und bleibt dort sitzen bis sie etwas geschrieben hat. Alice kritzelt derweil in ihr Tagebuch, ist abwechselnd von sich und ihrem Partner angeödet und sucht einen Weg, sich der Meisterin zu nähern, die leider viel zu wenig Interesse an ihr hat. Es muss eine Geschichte her, die sie beide verbindet, ein Junge, der im Ort in einem mexikanischen Gefängnis sitzt, weil er einen Großgrundbesitzer getötet hat, darf als Bindeglied her halten.
Man muss schon eine ordentliche Portion Freude am Fremdschämen und etwas schwarzen Humor mitbringen, wenn man an „Diebe und Vampire“ Spaß haben möchte. Diese Alice ist wirklich schwer zu ertragen. Sie nörgelt, sie jammert, sie lügt, sie ist feige und das alleinige Zentrum ihres Universums, ständig damit beschäftigt herauszufinden wie sie es schaffen könnte, dass die, von denen sie es sich wünscht, sich nur um sie drehen. Aber zwischendrin ist sie auch herzzerreißend verloren, als sie nach Amerika reist, um der Meisterin nahe zu sein offenbart sich ein Funke ihrer wirklich verletzlichen Seite, stoisch rennt sie auf der Suche nach Anerkennung gegen jegliche Abweisung an. Bitter wird es dann noch einmal, als sich zeigt, wie wenig sich Alice‘ Verhaltensmuster, ihr Hass auf sich selbst und andere in fortgeschrittenem Alter verändert hat. Umso amüsanter ist es, wie sie in dieser Phase ihres Lebens selbst zur Meisterin wird, als sie, wieder in Mexiko, die aufstrebende Isa kennenlernt.
Es kommen viele schmerzliche Wahrheiten auf den Tisch in „Diebe und Vampire“, als welche die Meisterin die Spezies der Schriftsteller beschreibt. Sie stehlen Geschichten, saugen sie heraus aus den Menschen, die ihnen am nächsten stehen. Ein Hoch auf Doris Dörries Talent, ihr ist es zu verdanken, dass ihre Erzählung viel mehr geworden ist als eine bitterböse Abrechnung mit der schreibenden Zunft. Sie strotzt vor Humor und Selbstreflektion und ist auf eine grausame Art erschreckend unterhaltsam.

Info: Doris Dörrie ist Autorin und Filmemacherin. Ihr aktueller Roman „Diebe und Vampire“ ist im Diogenes Verlag erschienen und jetzt auch als Taschenbuch zu haben. Man kann ihn hier käuflich erwerben. 

Gelesen von: Gabi Rudolph

www.diogenes.ch