Gehört: Jamie Lidell „Jamie Lidell“

Jamie Lidell ist ein echter Tüftler. Er liebt es, sich und seine Sounds zu loopen, sphärisch, kreischend, massentauglichkeit gegen Null gehend. Das ist wohl auch der Hauptgrund dafür, dass Jamie Lidell noch nicht zu größerem Ruhm gelangte. Denn im Gegensatz zu seinen Kollegen Beck und Feist, die sich gegenseitig bei ihren Plattenaufnahmen unterstützt haben, wurde Lidell „nur“ die Ehre zuteil, Native Instruments‘ iMaschine-Werbespot mit minutenlangem Sound-Gefrickel zu untermalen. Macht ihm aber herzlich wenig aus: nach sechs Studioalben und zwei EPs, sowie zahlreichen Gastauftritten bei Simian Mobile Disco, Gonzales oder Mocky hat der Bristol University-Absolvent noch längst nicht genug vom Basteln.
Ganz im Gegenteil; völlig verschroben beginnt seine selbstbetitelte sechste Platte. Im Track „I’m Selfish“, lockt er mit Atari und haut einem die ganze elektronische Bandbreite an Samples um die Ohren, die seine Festplatte so hergibt, um im Refrain dann wieder melodischen Soul der alten Schule auszuleben. Was klingt wie Cee-Lo Green (Gnarls Barkley) auf Speed nennt sich Future Soul und fasst damit eigentlich perfekt zusammen, was Herrn Lidells Songs so ausmacht. Aber irgendwie auch wieder nicht. Hör ich aus der Single „What A Shame“ nicht auch noch M.I.A. heraus? Und das Intro klingt verdächtig nach den Crystal Castles in ihren wildesten Zeiten. Unerhört!
In Wahrheit geben sich hier alle die Klinke in die Hand, auch Prince, den Jamie zu einem seiner größten Vorbilder zählt. Er schafft sogar das Kunststück, dem Vergleich gerecht zu werden. Und überrascht auf voller Albumlänge immer wieder aufs Neue. „Do Yourself A Faver“ zum Beispiel beginnt schummrig. Man beginnt schon, sich den dazugehörigen Videoclip mit dunklen Gestalten in Kutten vorzustellen. Dann fängt Jamie an zu singen, bringt 80er-Funk dazu, wirft ihn wieder um und zerstückelt alles in seine Einzelteile, um diese am Ende wieder zusammenzuflicken. Faszinierend facettenreich ist das und damit ist er so ziemlich allein auf weiter Flur. Total ungewohnt, würde nicht jeder Song des Albums – und damit meine ich wirklich jeden – zum Tanz bitten. Das ist gemacht für den Dancefloor! Oder die nächste WG-Party. So oder so ein Geheimtipp, der längst keiner mehr ist, sich aber immernoch wie einer anfühlt. Touché, Mr. Lidell!

Gehört von: Julia Köhn

VÖ: 15.02.2013