Gehört: Radiohead „A Moon Shaped Pool“

Radiohead A Moon Shaped PoolUnd wieder einmal scheiden sich die musikalischen Geister. Es gibt die, die es kaum erwarten können, und Sonntag kurz vor 20.00 h anfangen aufgeregt das Netz nach der neuen Radiohead Platte abzusurfen und die, die von dem Hype rund um die Band aus Oxford genervt sind. Die einen können mit den verschrobenen Klängen und der fisteligen Stimme Thom Yorkes nichts anfangen, die anderen knien huldigend nieder und ergehen sich in Lobhudeleien.  Genau vor einer Woche fing die Aufregung in der Radiohead Fangemeinde an. Plötzlich war alles weg, alles gelöscht. Der komplette Social Media Auftritt strahlte einen auf allen Kanälen nur noch in gleißendem weiß entgegen. Eine Band zieht blank. Selbst Kommunikationsagenturen schalteten sich in das Spektakel ein und rätselten, wie man plötzlich so viele mühsam zusammen gesammelte Likes schlichtweg einfach löschen kann. Radiohead können das. Ganz einfach weil sie Radiohead sind. Und dann wenige Tage später trällert ein kleiner Vogel liebevoll aus Knete gebastelt von den Ästen. Ein kleines Instagram Video, das sich in Windeseile verbreitet, wie eine frohe Botschaft, die von den Dächern gezwitschert wird. Verschwörerisch ist man sich einig: eindeutig eine Ankündigung, es wird schon lange gemunkelt und geunkt um Album #9. Dann ging es  plötzlich Schlag auf Schlag. Die erste Single „Burn The Witch“ wurde per Stop Motion Video gelauncht.
Schon wenige Tage später folgte das zweite Video zur Single „Daydreaming“. Thom Yorke, der durch die verschiedensten Türen geht, gefilmt von Paul Thomas Anderson. Da klingelt es natürlich bei vielen Radiohead Fans, denn Anderson ist seit langem eng mit Johnny Greenwood verbandelt, der meist die Musik seiner Filme arrangiert. Letztes Jahr hat Anderson dann sogar eine Doku über seinen Musiker-Freund veröffentlicht. Mittlerweile wurde das Video zu „Daydreaming“ rückwärts laufend veröffentlicht, da sich einige rückwärts eingespielte Textzeilen darin verstecken. Auch solche Skurrilität gehören mit zum Kult um die Band.
Und nun ist es tatsächlich da. Das langerwartete 9. Album „A Moon Shaped Pool“. Kein Album, das sich beim ersten Hören sofort in die Gehörgänge bohrt. Es erschließt sich langsam aber heftig. Man erahnt schnell, dass es die erwartete Größe hat. Auch wenn die Anti-Radiohead Fraktion jetzt behaupten könnte, dass streng genommen eigentlich nur drei Songs wirklich neu bzw. ungehört sind: „Decks Dark“, „Glass Eyes“ und „Tinker Tailer Soldier Sailor Rich Man Poor Man Beggar Thief“. Die anderen Songs existieren bereits in mehr oder weniger ähnlicher Form in dem unerschöpflichen Radiohead Universum.  Oft live gespielt und von den Fans schon lange eingefordert, weil heimlicher Liebling, erblickt der herrlich verstörende Song „True Love Waits“ als überarbeitete Studio-Version endlich das Licht der Welt. Schon wird gemutmaßt, dass es vielleicht das letzte Radiohead Album sein könne, da man auf einmal die Fan Wünsche erhört und somit einen Kreis schließen will. Es wäre aber nicht Radiohead, wenn sie nicht ständig Anlass zu Spekulationen gäben. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass die Band endlich einen Weg gefunden hat, den Song in einer Studioversion aufzunehmen. Denn das haben sie laut Langzeit-Produzenten Nigel Godrich schon viele Male vergeblich versucht. Auch „Identikit“ ist ein altbekannter Song, der bisher nie offiziell veröffentlicht wurde. Vielleicht war Yorkes zerbrochene Beziehung der Ausschlag gebende Impuls um Textzeilen wie „Broken hearts make it rain“ endlich auf Platte zu bannen. So ist es bemerkenswert, das Lyriker Yorke nicht nur wie gewohnt um Ängste, Politik und Einsamkeit kreist, sondern auch Emotionen besingt, die das Herz berühren und banaleren Ursprungs sind. Und noch etwas ist neu:  Johnny Greenwood liefert auf „Identikit“ so etwas wie ein für die Band eher ungewöhnliches Gitarren-Solo. Greenwoods Handschrift ist auf dem Album deutlich zu hören. Teils filmreife Orchestrierungen begleiten die Songs, mit den bekannten Streichern, die vordergründiger sind denn je, eingespielt vom London Contemporary Orchestra. Es wäre eine Verschwendung, wenn nicht mindeste ein Teil des LCO mit auf Tour käme. Yorkes einlullende, prägnante Stimme schafft Vertrautheit und wirkt in manchen Passagen, wie bei „Desert Island Disk“, fast meditativ oder zieht einen in einen tiefen Strudel mit repetitiven Gesang wie bei „Full Stop“. Mit „A Moon Shaped Pool“ ist ein Radiohead Album gelungen, das fast Karriere umspannend wirkt, Altes und Neues – auseinandergenommen, neu zusammengesetzt und mit Vertrautem überzogen. Eine wahrlich große Platte, die man versteht wenn man will aber man muss es nicht. Neue Fans wird sie sicherlich nicht erschließen aber die Alten sehr, sehr glücklich machen.

Wer sich Radiohead nicht live entgehen lassen will, sollte sich unbedingt Karten für das exklusive Deutschland Konzert auf dem Lollapalooza am 11. September sichern. Dieses Datum ruft bei eingefleischten Fans sofort Erinnerungen wach. Erinnerungen, die Gänsehaut verursachen. Ein Datum, dass man nie vergessen wird, der 11. September 2001. An diesem schrecklich, denkwürdigen Tag, spielten Radiohead das wohl nachhaltigste und bewegendeste Konzert ihrer Karriere, in Berlin, in der Wulheide. An diesem Abend hat nicht nur der Himmel geweint aber die Musik hat getröstet.

Physisch wird das Album am 17. Juni veröffentlicht.

Gehört von: Kate Rock