Berlinale Round-Up #3: Endspurt, Perspektiven, Bären

Zjednoczone stany miłości | United States of LoveSpätestens ab Donnerstag heißt die Devise nur noch: durchhalten. Zur bis dato noch ganz amüsanten Mischung aus Reizüberflutung und Übermüdung gesellt sich nach der durchtanzten Nacht bei der „Director’s Night“ eine sich schleichend ausbreitende Erkältung. Aber nicht nur mir geht es so. In den Kinos wird inzwischen so viel gehustet und sich geschnäuzt, dass man glauben könnte man befände sich in einem Sanatorium für angeschlagene Journalistin. Oder wie sagte eine wunderbare Frau einst zu mir: „Zwischen gepflegt aussehen und gepflegt werden liegt die Berlinale.“ Der Berlinale Infekt scheint so alt und traditionell wie das Festival selbst.
Aber noch ist aufgeben nicht angesagt. Da Tom Schilling und seine Jazz Kids mich am Donnerstag Abend mit ihrem spröden Live Auftritt eher frühzeitig aus der Audi Lounge treiben (natürlich nicht ohne die obligatorische Runde Dim Sum auf dem Heimweg), fühle ich mich am Freitag Morgen so etwas wie „fit“ genug für den polnischen Wettbewerbsbeitrag: „Zjednoczone stany miłości (United States Of Love)“ von Tomasz Wasilewski erzählt die Geschichte von vier Frauen Anfang der Neunziger Jahre in der polnischen Provinz. Kunstvoll verwirbt er die persönlichen Schicksale der drei. Unerfüllte Liebe, Einsamkeit, Trennungsschmerz und die Sehnsucht nach Erfüllung einen die vier Frauen, die trotzdem sehr unterschiedliche Wege gehen. „Zjednoczone stany miłości (United States Of Love)“ ist ein Gewinn auf der ganzen Linie und jede Stunde Schlafverlust wert. Die untersättigte Farboptik unterstützt das Gefühl der emotionalen Kälte in der die Protagonistinnen sich bewegen, ohne dabei je zu aufdringlich symbolisch zu wirken. Wasilewski lässt sich viel Zeit beim Beobachten seiner Figuren und bringt sie einem durch liebevolle Detailaufnahmen nahe. Gleichzeitig schafft er es, dass die zum Großteil doch recht deprimierenden Schicksale einen nie zu stark abstoßen. Das ist natürlich auch mit Verdienst der großartigen Besetzung. Die Darstellerinnen agieren zurückgenommen und mit einer gleichzeitig unglaublich berührenden Intensität. Ein toller Film, den man so schnell nicht los wird.
Zum Glück. Denn im Anschluss mache ich mich auf, der bis dato in meinen Augen viel zu vernachlässigten Perspektive Deutsches Kino Tribut zu zollen. Ein löbliches Ansinnen, für das ich leider nicht belohnt werde. Die beiden zeitlich verfügbaren Filme „Toro“ von Martin Hawie und „Wir sind die Flut“ von Sebastian Hilger erweisen sich, ganz direkt gesagt, als Griff ins Klo. Dabei fällt es mir schwer zu entscheiden, welcher der beiden das größere Desaster ist. „Toro“ ist abgegriffenstes Außenseiterkino. Zwei Jungs die sich prostituieren, einer an Männer, einer an Frauen, zwei gescheiterte Existenzen auf der Suche nach dem Weg in ein besseres Leben. Die beiden Hauptdarsteller Paul Wollin als Toro und Miguel Dagger wissen dabei genauso wenig zu überzeugen wie die abgeschmackte Geschichte, bei der es am Ende um den Kampf gegen die eigene unterdrückte Homosexualität geht. Mit Mord an mehreren Menschen lässt sich leben, mit den Gefühlen für den besten Freund nicht? Zum Abschluss geht es zur Beichte in die Kirche. Der fade Beigeschmack wird noch verstärkt durch die unglaublich abgenudelte Schwarzweiß-Optik, ein billiger Versuch, alles noch trostloser und dreckiger erscheinen zu lassen. Gähn.
„Wir sind die Flut“ verliert sich dann komplett in seinem Anspruch auf Optik und gerät inhaltlich zum unerträglichen Mystikquark. In einem Küstendorf verschwindet die Flut und mit der Flut die Kinder des Dorfes. Zwei Studenten aus Berlin (Max Mauff und Lana Cooper) machen sich ohne Forschungsauftrag auf den Weg, um dem Mysterium auf den Grund zu gehen. Dabei verzetteln sie sich in ihrer eigenen Liebesgeschichte und in der von kruden Einfällen und schlechten Auflösungen strotzenden Handlung. Was in der Zusammenfassung schon für gehobene Augenbrauen sorgt, reicht in der Länge nur noch für ein Kopfschütteln. Das retten auch der auf Bombast getrimmte Soundtrack und die elegischen Küstenaufnahmen nicht mehr. Im Gegenteil, man wünscht sich nach beiden Filmen nichts mehr, als dass einem jemand einfach und unaufgeregt eine gute Geschichte erzählt. Zumal man am selben Morgen bereits einmal virtuos vorgemacht bekommen hat wie das gehen kann. Ich hoffe sehr, dass es sich bei beiden Sektionsbeiträgen schlichtweg um Fehlgriffe gehandelt hat, die nicht exemplarisch für den deutschen Regienachwuchs sind.
Trine Dyrholm (c) Richard HübnerUnd irgendwann ist dann auch der Ofen aus. Die Preisverleihung am Samstag Abend verfolge ich per Livestream im Bett. Dem gibt es an diesem Abend leider kein Entkommen mehr. Aber ich freue mich über die von der Jury gefällten Entscheidungen. Silberner Bär für die wunderare Trine Dyrholm und ihre herzerwärmende Performance in „Kollektivet“! Damit wurde eine meiner absoluten Favoritinnen des Festivals ausgezeichnet. Im Überblick hat die Jury sich für folgende Gewinner entschieden:

Goldener Bär für den besten Film: „Fuocoammare (Fire at Sea)“ von Gianfranco Rosi
Silberner Bär großer Preis der Jury: „Smrt u Sarajevu / Mort à Sarajevo“ von Danis Tanović
Silberner Bär Alfred-Bauer-Preis: „Hele Sa Hiwagang Hapis“ von Lav Diaz
Silberner Bär für die beste Regie: Mia Hansen-Løve für „L‘ Avenir“
Silberne Bär für die beste Darstellerin: Trine Dyrholm in „Kollektivet“
Silberner Bär für den besten Darsteller: Majd Mastoura in „Inhebbek Hedi“
Silberner Bär für das beste Drehbuch: Tomasz Wasilewski für „Zjednoczone stany miłości“
Silberner Bär für eine herausragende künstlerische Leistung: Mark Lee Ping-Bing für die Kamera in „Chang Jiang Tu“

Eine gute Jury! Und irgendwie erfüllt es mich mit Freude, dass wir einen Teil der Wettbewerbsbeiträge gemeinsam geguckt haben. Meryl Streep wird mir besonders fehlen. Wie sie in ihrem Sessel saß, die Haare lässig zum Knoten gebunden, die Brille auf der Nase, so aufmerksam und aufrecht, wirkte sie immer voller ehrlicher Vorfreude auf den nächsten Film. Mit ihr gemeinsam im Kino zu sitzen, da macht jeder Film gleich doppelt so viel Spaß.
Und so bleibt von meinem zehntägigen Berlinale Rausch: eine in diesem Jahr wie ich finde besonders schicke Filztasche, eine Handvoll Einlassbändchen als Erinnerung an meine Feiernächte und die Packung mit den Berlinale Taschentüchern, die die Dame in der Audi Lounge mir nur mit den strengen Worten „aber nur eine!“ überlassen wollte. Ich wippe im Bett mit den Füßen, die sich noch nicht ganz vom tagelangen Rumlaufen entwöhnt haben und lasse alles noch ein Weilchen nachwirken. Bis hoffentlich zum nächsten Jahr!