Arcade Fire, 18.06.2014, Wuhlheide Berlin

Ich fühle mich verpflichtet, zu Beginn dieses Artikels eine Warnung auszusprechen: ich bin in diesem Fall nicht die geeignete Person, einen üblichen Konzertbericht zu schreiben. Die klassische Schule des Journalismus behauptet, dieser möge immer so objektiv wie möglich sein. Demnach stellt es quasi eine journalistische Todsünde dar, beim Bericht über ein Erlebnis allzu nah bei sich zu bleiben. Ich fürchte, das wird mir nicht gelingen.
Trotzdem möchte ich gerne ein paar Worte über das Arcade Fire Konzert letzte Woche in der Berliner Wuhlheide verlieren. Objektiv über den Verlauf des Konzertes haben ja bereits etliche Kollegen berichtet. Die haben alle schon erzählt, dass das Wetter schön war, es leider erst sehr spät dunkel wurde, sodass die großartige Licht- und Videoshow gar nicht so recht zur Geltung kam, dass es eine umfangreiche Setlist gab, die das Beste aus vier Arcade Fire Alben doch recht zufriedenstellend abdeckte. Dass es maskierte Tänzer und einen Spiegelmann gab und dass die Band, in hell, grell und etwas Glitzer gekleidet, zugleich mit Coolness und Spielfreude überzeugte. Glückliche Gesichter auf der Bühne und im Publikum. Soweit, so begeisternd. Wenn ich dem noch etwas hinzufügen soll, fürchte ich, muss ich etwas anders ran gehen.
Arcade Fire zu hören geht für mich immer ein klein wenig über ein „normales“ musikalisches Erlebnis hinaus. Es ist, als würde eine Tür aufgestoßen, von der ich vorher noch nicht einmal wusste, dass sie da ist. Arcade Fire live zu sehen, grenzt an eine bewusstseinserweiternde Erfahrung. Herz, Kopf, Eingeweide, Füße, Hände – alles wird auseinandergenommen, einmal kräftig durch die Gegend gewirbelt und neu wieder zusammen gesetzt. Und danach fühlt sich alles anders an. Ich habe es in den letzten Wochen ein paar Mal erlebt, es funktioniert immer wieder. Bestimmt nicht bei jedem, und der eine oder andere, der diese Zeilen liest (und vielleicht sogar beim Konzert war), denkt jetzt, dass bei mir was nicht ganz richtig läuft. Aber spätestens seit letztem Mittwoch ist mein Freundeskreis voll von verstrahlten Menschen, die mir immer wieder versichern: ihnen geht es genauso. Wir liegen uns glücklich in den Armen und freuen uns, dass es Bands wie Arcade Fire gibt, die uns auf so positive Weise so herrlich durcheinander bringen. Konzentration ist ein rares Gut in diesen Tagen.
Der Abend in der Wuhlheide beginnt bereits magisch. Owen Pallett, festes Mitglied der aktuellen Arcade Fire Tourbesetzung, gibt mit Geige, Keyboard und Loop Station bewaffnet den Opening Act. Ein bisschen fragil wirkt er auf der großen Bühne, aber selbst den Wind hat er sofort auf seiner Seite: zur richtigen Zeit im richtigen Song wirbelt er ein paar einzelne Konfetti auf, die, wahrscheinlich von einem Testlauf der später zum Einsatz kommenden Kanonen noch am Boden lagen. Sie umschwirren ihn sanft, im Hintergrund flackert der schwarze Vorhang. Es scheint, als könne selbst die Natur es sich nicht nehmen lassen, ihren Teil zu diesem Abend beizutragen. Und als ihn am Ende zu „Tryst With Mephistopheles“ Richard Reed Parry und Jeremy Gara an Bass und Schlagzeug begleiten, hat man auch nicht mehr das Gefühl, irgendeine Bühne dieser Welt könnte zu groß für Owen Pallett sein.
Am Ende des Konzertes steht Steve Mackey, Bassist der UK Kultband Pulp, an einem kleinen DJ Pult am Rand der Bühne und legt ein paar Songs auf. Der Boden ist mit kunterbuntem Konfetti übersät und die Menschen sammeln sich unten am Gitter und tanzen weiter. Andere sitzen noch in den Rängen als warten sie darauf, dass sie sich in der Lage fühlen, den Ort des Geschehens zu verlassen. Während die Bühne bereits abgebaut wird, kommt Win Butler hinzu, notdürftig getarnt mit dem üblichen Banditentuch, kurze Zeit später Régine Chassagne im Goldlamé Umhang. Er spielt David Bowies „Rebel Rebel“, sie tanzt und wirft Kusshände, das verbliebene Publikum wirft mit Konfetti. Als beim Abbau das DJ Pult von der Hausanlage abgestöpselt wird, nimmt Win die Monitorbox und dreht sie Richtung Publikum. Er legt John Lennons „Mind Games“ auf, singt dazu Playback, die Menge jubelt, als hätte das Konzert nie geendet. Schließlich nimmt er Régines Hand, dreht sie ein paarmal um die eigene Achse, dann verlassen sie Hand in Hand die Bühne. Aber nein, immer noch will niemand gehen, das Publikum beginnt zu singen, immer lauter skandiert es die Melodie von „Wake Up“. Win Butler kommt noch einmal zurück, winkt und verbeugt sich. Irgendwie wirkt er genauso verstrahlt wie die glücklichen Gesichter vor der Bühne, zufrieden aber immer noch hungrig. Es könnte endlos so weitergehen.
Zehn Tage zuvor, beim Konzert im ausverkauften Londoner Earl’s Court, begrüßte er sein Publikum nach dem zweiten Song mit den Worten: „If you give us everything, we give you everything“. Es ist ein beidseitiges Geben und Nehmen bei Arcade Fire Konzerten, und offensichtlich sind beide Seiten bereit, ihre Türen weit aufzustoßen. Wenn das nicht wahre Spiritualität ist.

Versuch eines Berichts: Gabi Rudolph
Fotos: Hella Wittenberg