So war’s beim In-Edit Musikdokumentarfilmfestival 2012

Wie oft kann man mit dem grauen, regnerischen Wetter argumentieren, um ein paar Filme anzupreisen? Vor kurzem fand das In-Edit Musikdokumentarfilmfestival zum zweiten Mal statt und bot eine wunderbare Gelegenheit, mal wieder etwas mehr Zeit im Kino zu verbringen als die üblichen 2,5 Stunden. Von den 13 Filmen, die ich gesehen habe, war der Großteil gut gemacht und bei einigen ist man hinterher klüger rausgegangen – und zwar nicht nur um die Bestätigung, dass Drogen und Alkohol eine essentielle Rolle in diesem Bereich spielen. Einige der Dokumentationen waren höchst amüsant und andere haben mich eher mit einem „Was sollte mir das jetzt sagen?“ hinterlassen. Eine Auswahl der gesehenen Filme stelle ich an dieser Stelle vor.

Papagarda – En casa de Raimundo Amador

„Papagarda – En casa de Raimundo Amador“ zeigt, wie der Titel es schon verrät, Raimundo in seinem Zuhause. Es ist ein kleines Häuschen voll mit Kindern, unglaublich vielen Gitarren, Gitarrenkoffern und Verstärkern. Die Gitarrenkoffer und Gitarren sind in jeder Ecke gestapelt – in der Speisekammer, im Wohnzimmer, im Esszimmer.
Ein wenig anstrengend ist die Dokumentation über Raimundo Amador schon – die Untertitel sind teilweise etwas fehlerhaft und sein Spanisch hat einen starken Dialekt, den – wie mir versichert wurde – auch Spanier mitunter nur schwer verstehen. Raimundo ist Gypsy, einer der besten Flamencogitarristen der Welt und spricht kein Wort Englisch. Letzteres ist umso erstaunlicher, da er schon zusammen mit Größen wie Björk und B.B. King gearbeitet hat. Es scheint, als ob Musik die universelle Sprache zwischen allen ist und mehr nicht nötig ist. Raimundo erzählt, dass eine seiner Stärken in der Improvisation liegt und legt zum Beweis eine Bluesplatte auf, um sie auf seiner Gitarre zu begleiten. In der Dokumentation erzählt er, wie er B.B.King ein Tape geschickt hat, in dem er über eine Platte von B.B. King spielt hat und es darauf hin zur gemeinsamen Arbeit gekommen ist. Die Dokumentation zeigt, dass auch begnadete Künstler wie ein Raimundo Amador ganz normale, durchschnittliche Typen sind – sehr sympathisch.

Queen – Days of our Lives

Queen ist ohne Frage eine der bekanntesten Bands weltweit. Wer sich für die Geschichte hinter der Band und ihrer einzigartigen Musik interessiert, dem ist diese Dokumentation wärmstens ans Herz zu legen. In der zweiteiligen Dokumentation berichten Brian May, Roger Taylor, John Deacon und zahlreiche Wegbegleiter von Queen über die gesamte Bandgeschichte. Über das Zusammenfinden der vier Mitglieder, die ersten Jahre, in denen sie von der Englischen Presse nicht gerade mit Lorbeeren überhäuft wurden, über erste Erfahrungen mit Konzerten in Stadien in Argentinien bis hin zur den internen Spannungen in der Band und folgenden Trennungen. Sie erzählen von der Entstehung ihrer größten Songs wie „Bohemian Rhapsody“ oder „Somebody To Love“ und ihren Alben. Es ist beeindruckend, wie sie sich trotz schlechter Presse und Gegenwind immer treu geblieben sind und die Herzen der Fans langsam erobert haben. Wenn man eines aus dieser Dokumentation lernt, dann das es sich lohnt sein eigenes Ding zu machen und sich nicht immer nach der Presse zu orientieren. Sämtliche Gefühlslagen werden während dieser Dokumentation durchlaufen – man hat Tränen vor Lachen in den Augen bis hin zu einer unendlichen Traurigkeit, wenn sie von den letzten Tagen, Wochen und Monaten von Freddy Mercury erzählen. „Days of our Lives“ ist eine der besten Queen Dokumentationen, die man zur Zeit sehen kann.

The Sacred Triangle

David Bowie ist eine Ikone. Die Dokumentation zeigt die Entstehung dieser Ikone. Sie fokussiert sich darauf, wie Bowie mit Hilfe von Lou Reed und Iggy Pop sein Kunstfigur Ziggy Stardust Anfang der 70er kreierte und wieder beendete. Die Entwicklung dieser drei Künstler in den 60ern wird erzählt und wie dank Bowie die drei Geschichten miteinander verknüpft wurden. Neben der Entstehung von Ziggy wird auch Entstehung der  Klassiker der Musikgeschichte „Ziggy“, Reeds „Transformer“ und Iggy And The Stooges „Raw Power“ erzählt. Die beiden letzteren Alben wurden von Bowie produziert. Selbst für Kenner bietet der Film noch neue Anekdoten und Informationen über diese Zeit im Leben der Drei. Die Geschichten werden von David Bowies Exfrau Angie Bowie und MainMen Management erzählt.

Color Me Obsessed – A Film About The Replacements

Wenn man eine Band anfängt zu lieben ohne sie jemals gehört oder gesehen zu haben, dann hat der Film über die Band ganze Arbeit geleistet. „Color Me Obsessed“ ist ein Liebesbrief an eine Punk Band aus den 80ern namens The Replacements. Nie gehört? Kein Wunder. Sie sind wohl einer unbekanntesten Inspirationsquellen, die es jemals gab. Zahlreiche Wegbegleiter und Fans, zu denen unter anderen die Goo Goo Dolls, Tommy Ramone und Tom Arnold gehören, zeichnen ein so detailliertes Bild der Band, dass man am Ende der Dokumentation meint, sie schon ewig zu kennen. Die Liebe und die Leidenschaft der Fans überträgt sich auf den Zuschauer und dabei wird in der gesamten Dokumentation weder ein Mitschnitt eines ihrer Konzerte noch von einem ihrer Songs gezeigt. Regisseur Gorman Bechard hat mit „Color Me Obsessed“ eine Dokumentation der ganz besonderen Art geschaffen.

Talihina Sky

Eine Dokumentation über die Anfänge und die Familie der Kings of Leon. Für die einen interessant, weil sie die Geschichte der Kings of Leon nicht wirklich kennen. Für die anderen nur mäßig interessant, weil so wirklich neu ist es nicht. Sie zeigt allerdings einen Einblick in die große Familie, das jährliche Familientreffen, die ärmlichen Verhältnisse und altes Videomaterial. Mitunter fällt es ein wenig schwer die einzelnen Ereignisse, Interviews und Bilder zeitlich einzuordnen, da es außer den Frisuren der Gebrüder Followills keinen richtigen Anhaltspunkt gibt. Er zeigt die Zerrissenheit zwischen dem Leben als Diener Gottes, zu dem sie erzogen worden, und dem Leben eines Rockers, Drogen und Alkohol.
Sieht man viele Dokumentationen auf einmal, kristallisiert sich die Spreu vom Weizen automatisch. Während einige es schafften, sogar ganz ohne die dazugehörige Musik ein Interesse an der entsprechenden Band wecken, schaffen es einige nicht. „Talihina Sky“ ist ein Film für Fans, die schon immer einen Einblick in das private Leben und die Wurzeln der Kings of Leon werfen wollten. Für alle anderen ist er mitunter etwas fad.

Last Days Here

Es war der letzte Film, den ich gesehen habe. Nach diveresen Filmen, die Drogen fast schon als Standard für den erfolgreichen Musiker hinstellten, ist diese Dokumentation das Gegenteil. Die Geschichte von Bobby Liebling ist beeindruckend und höchst er- und abschreckend. Jede Minute in dieser Dokumentation ist Teil einer extremen emotionalen Achterbahnfahrt – nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für die Beteiligten. Bobby Liebling ist Sänger der Metalband Pentagram, die viele Chancen auf den großen Erfolg einfach selbst ruiniert hat. Da wäre zum Beispiel das eine Mal, als Gene Simmons und Paul Stanley von KISS in den 70ern sich die Band angucken wollten und zwei Mitglieder von Pentagramm zu spät kamen, die Band wegen des Vermieters leiser als üblich und dann zusätzlich noch schlecht spielte. Diese Vergangenheit von Pentagram und Bobby wird durch Wegbegleiter von Bobby während der ersten halben Stunde in kleinen Geschichten erzählt. Gleichzeitig sieht man den 50 Jahre alten, drogenabhängigen Bobby Liebling im Haus seiner Eltern mehr tot als lebendig auf einer Couch liegend, mit bandagierten Armen, weil er sich einbildet von Parasiten befallen zu sein und sich die Haut selber aufkratzt. Seine Eltern unterstützen und lieben ihren Sohn dennoch. Es ist berührend, wie sehr seine Mutter an sein Talent glaubt. Und dann gibt es den Fan und Manager, Sean „Pellet“ Pelletier, der Bobby mit all seinen Kräften zurück ins Leben holen und die Band Pentagram zu einem Konzert zusammenführen will. Die Regisseure Don Argott und Demian Fenton begleiteten Booby Liebling und Sean „Pellet“ Pelletier über mehrere Jahre hinweg ohne den Ausgang selber erahnen zu können.
Um das Bild der emotionalen Achterbahn zu vervollständigen, taucht auch noch eine Liebe auf – das alles holt Bobby zurück ins Leben, aber für wie lange? Schafft es ein Junkie, der seit Jahrzehnten auf Crack und anderen Drogen ist, sich soweit zu erholen, dass er ein Konzert spielen kann? Wird Bobby das einzige, das er zu benötigen scheint erhalten? Wird er geliebt werden? Und wird er die Dokumentation überhaupt überleben? Bis zur letzten Minute bleibt diese Dokumentation spannender als manch Krimi – auch für Menschen, die mit der Musik von Pentagram nichts anfangen können.

Gesehen von: Dörte Heilewelt